Samstag, 17. August 2019

Bavaria infernalis - Mond über den Feldern



Jung sein auf dem Dorf hat so seine Nachteile. Einer der größten ist wohl, dass die Verkehrsverbindungen zu wünschen übriglassen. Kein Bus und keine Straßenbahn, die einen alle fünf Minuten durch die Gegend kutschieren. Wer keinen Kumpel mit Führerschein hat, hat hier draußen eindeutig die Arschkarte gezogen. Wir hatten keinen volljährigen Kumpel und waren somit am Arsch. Besonders an Abenden wie diesem, an denen weiter draußen eine Party stieg. Also gab es zwei Möglichkeiten, laufen oder sich mit dem Bike abstrampeln. Nicht hingehen war keine Option. Für die große Party am Ausee heute Abend, entschieden wir uns für die Bikes. Zum Laufen wäre es zu weit gewesen, vor allem weil die Mädels sich schick machen und die schönen Schuhe anziehen wollten.
Wir trafen uns an der Tankstelle. Mick und ich hatten unseren Eltern als Ausrede erzählt, wir würden bei seinem Onkel zelten. Keine Ahnung, was die Mädels zu Hause erzählt hatten. So wie die zwei aufgedonnert waren, hätte ihnen die Zeitgeschichte zumindest niemand abgenommen. Mick war als erster an der Tanke und wartete schon auf uns, als wir ankamen. Er lehnte auf dem Lenker seines Mountainbikes und grinste breit, als die Mädchen hinter mir in die Zufahrt bogen. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie näherkamen.
„Hey Sue, wofür hast du dich so angemalt? Das ist eine Sommerparty am See und nicht das Casting zu Bayerns next Superclown.“
Sie ignorierte ihn und schob ihr Rad an ihm vorbei. Ich unterdrückte ein Lachen. Ja, Sue sah wirklich schon fast lächerlich aus. Aber es war keine gute Idee, sie zu verärgern, wenn man nicht wollte, dass sie uns den restlichen Abend die Stimmung verdarb. Hinter ihr dackelte wie immer Moni einher. Sie war eine kleinere, blassere Kopie von Sue. Dieselbe Art, derselbe Style, nur alles etwas farbloser und etwas weniger laut und aufdringlich.
„Wollen wir noch versuchen, etwas Schnaps und ein paar Kippen zu holen?“ schlug ich vor, um das Thema zu wechseln. Am See würden sie uns dafür mit Sicherheit feiern. Doch Mick schüttelte den Kopf.
„Kannste vergessen. Die alte Reinhart steht an der Kasse, da kriegen wir höchstens ein Päckchen Kaugummis.“
Ich seufzte. Es wäre schon cool gewesen, dort mit einer Flasche Vodka auftauchen zu können. Hätte Micks Cousin gearbeitet, wäre das auch kein Problem gewesen. Ebenso wie die Kippen. Doch so würden wir eben mit leeren Händen aufschlagen, unsere fünf Euro Eintrittsgeld abgeben und in der Menge verschwinden. Sue schob ihr Rad demonstrativ an uns vorbei, zurück in Richtung Straße.
„Können wir dann endlich los? Wir verpassen noch den ganzen Spaß, wenn wir hier noch lange rumtrödeln.“
Mir war absolut klar, wieso sie es so eilig hatte. Die anderen Mädels hatten ihr gesteckt, dass dieser eine Typ, der Asiate vom Gymnasium dort sein würde. Keine Ahnung wie der hieß und wieso die alle auf den abfuhren. Aber Sue hatte eindeutig Angst, dass sich eine andere ihm an den Hals warf, bevor sie die Chance dazu hatte. Also nickte ich nur. Mick und Moni hatten keine große Meinung dazu, aber auch sie rollten mit ihren Bikes runter zur Straße. Wir überquerten die Bundestraße und traten in die Pedale. Luftlinie war der See eigentlich gar nicht so weit weg von der Tankstelle und der dahinter liegenden Siedlung. Doch die kleine Nebenstraße schlängelte sich zwischen den unzähligen Feldern hindurch und zog die Fahrt so auf beinahe eine Viertelstunde hin. Im Vorbeifahren fiel mir auf, wie hoch der Mais bereits stand. Er überragte uns bereits deutlich und man konnte nicht mehr sehen, was auf der anderen Seite des Feldes lag. Das Weizenfeld war bereits abgeerntet, die Wiese stand fast hüfthoch neben der Straße. Doch der Großteil des Weges wurde von den riesigen Maisfeldern eingerahmt.
Ich überlegte kurz, ob wir ein paar Maisstauden ausreißen und mitnehmen sollten. Vielleicht war der Mais schon reif genug, um ihn über dem Feuer zu grillen. Doch es war gerade Mal 19 Uhr und das Risiko, dass uns jemand mit dem Mais sah, war mir dann doch zu groß. Vor allem weil diese Felder dem alten Mesner gehörten. Einem furchtbar unangenehmen Zeitgenossen, der einen schon Mal mit dem Traktor verfolgte, wenn er einen auf seinen Feldern erwischte. Der Typ war echt gestört. Deshalb mieden wir soweit es ging, sogar die Wege zwischen den Feldern. Man konnte nie wissen, wann er hinter den hohen Maisstauden plötzlich um die Ecke bog und anfing, einen anzuschreien und aufs Übelste zu beschimpfen. Es gingen sogar Geschichten um, dass er schon mal jemanden in seiner Wut erschlagen und in den Feldern versteckt hatte. Mein Dad sagte, das sei dummes Geschwätz, der alte Mesner sei einfach nur ein cholerischer Säufer, der den Leuten zwar gern einen riesigen Schrecken einjagte, aber niemandem etwas zu Leide tat.
Ich wollte es nicht wirklich ausprobieren und selbst jetzt, wo wir uns auf der Teerstraße befanden, trat ich unwillkürlich schneller in die Pedale, bis wir den kleinen Bach überquert und die Felder hinter uns gelassen hatten.

Als wir den See erreichten, war die Party bereits in vollem Gange. Es waren Ferien und es hatte sich rumgesprochen, dass heute hier etwas los war. Auf dem Parkplatz standen sogar ein paar Autos mit auswärtigem Kennzeichen. In den Zeiten von social Media eigentlich nicht mehr verwunderlich. Da wusste ja jeder von jeder Party rund um die Welt. Wir lehnten unsere Bikes an einen der Bäume und stürzten uns ins Getümmel. Es waren sicher um die 40 Leute da.
Mich wunderte etwas, dass so eine große Party nicht kontrolliert wurde. Aber das war eben einer der Vorteile hier draußen. Wenn wir nicht die Felder abfackelten und den Bereich am See nicht komplett verwüsteten, krähte kein Hahn danach, was wir hier trieben. In den Grillplätzen brannten schon die Feuer, es wurden Kühlboxen mit Bier und Cola herumgeschleppt und ein paar Leute sprangen noch im See herum.
Sue scannte bereits den ganzen Bereich nach ihrem Schwarm ab und war schon nach wenigen Minuten mit Moni im Schlepptau verschwunden. Für Mick und mich standen andere Dinge im Vordergrund. Wir machten uns auf die Suche nach Semi, er war es immer, der diese Partys organisierte und auch das Geld einsammelte. Eine Dose Bier, ne fette Grillwurst und am See sitzen und über Sport quatschen, war alles, was wir im Sinn hatten. Wir hatten eine schöne Zeit, fachsimpelten mit Schulkollegen und Kumpels aus dem Sportverein darüber, welche Transfers die Clubs machen müssten, um in der Bundesliga vorn mitzuspielen, die Verantwortlichen hatten da selbstverständlich weniger Ahnung als wir. Wir tranken, aßen, lachten und fanden die Party spitze, bis es begann langsam dunkel zu werden. Dann begann die Stimmung langsam zu kippen.
Den ersten Zoff gab es drüben bei den Grillplätzen. Keine Ahnung wieso, plötzlich begannen sie rumzuschreien, bauten sich vor einander auf und schubsten sich gegenseitig hin und her. Bevor das ganze eskalierte und sie sich wirklich aufs Maul hauten, ging Semi brüllend dazwischen und drohte den Beteiligten mit der Polizei, wenn sie sich nicht sofort verzogen. Die Streithammel warfen sich noch ein paar wütende Blicke zu, dann traten beide den Rückzug an und verschwanden auch von der Party. Kurz darauf hörte man vom Parkplatz die Motoren heulen und ein paar Leute schlitterten mit durchdrehenden Reifen auf die Straße.
Ich war froh, dass es so glimpflich abgegangen war. Auch wenn Mick mich damit gerne aufzog, ich habe mich noch nie geprügelt und wäre auch sehr froh, es so belassen zu können. Aber nach diesem Zwischenfall war irgendwie der Wurm drin. Immer mehr Leute kriegten sich in die Haare und verließen die Party. Kurz vor halb elf ließ Semi die Grillfeuer löschen nachdem ein paar Betrunkene begonnen hatten, sich mit den glühenden Holzscheiten zu bewerfen. Nach und nach verschwanden die Partygäste, oft begleitet von lautem Gegröle und Scheppern, wenn sie versuchten ihre Fahrräder auf die Straße zu schieben und dabei über die eigenen Füße stolperten. Von unseren Mädels fehlte immer noch jede Spur. Nicht dass ich mir Sorgen gemacht hätte.
Mick und ich streiften über die Wiese und kontrollierten die Kühlboxen, ob noch irgendwo ein Bier zu finden war, als Sue auf uns zu gestapft kam. Das erste was ich sah, was das dicke Make-up, das über ihr Gesicht hinab lief. Zuerst dachte ich, sie hätte geweint, doch dann bemerkte ich, dass alles an ihr tropfte. Ihre Schuhe trug sie in der linken Hand und sie kochte vor Wut. Mick kicherte und ließ den Deckel einer leeren Kühlbox zuschlagen.
„Wenn du ne Poolsession einlegen willst, solltest du’s nächstes Mal mit wasserfester Schminke versuchen.“
Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde ihre Schuhe nach ihm werfen oder anfangen, mit ihnen auf ihn einzuschlagen. Doch Sue zitterte nur vor Wut. Ihre Stimme war dick belegt und es klang als würde sie gleich losheulen.
„Lasst uns fahren, ich will weg.“
Ein schneller Blick über die Schulter zu Mick zeigte mir, dass es ihm egal war. Moni würde machen, was immer wir beschlossen. Also nickte ich, die Party war eigentlich eh schon gelaufen. Während die anderen schon mal zu den Rädern gingen, verabschiedete ich mich noch schnell von Semi. Es war kurz vor 23 Uhr und das einzige Licht am See kam vom Mond. Mit den richtigen Leuten wäre es noch richtig cool gewesen, aber die Stimmung war dahin. Also beeilte ich mich, die anderen einzuholen. Zu meiner Verwunderung standen sie zwischen den Bäumen und leuchteten mit den Lampen ihrer Smartphones die Gegend ab. Zumindest Moni und Mick, ich schätze Sues Handy war im See abgesoffen bei was immer da passiert sein mochte.
Bevor ich fragen konnte, was los war, erkannte ich das Problem. Von den vier Bikes lehnte nur noch das von Mick an dem Baum und das mit platten Reifen. Die anderen drei waren weg. Ich fluchte leise. Plötzlich verschwand Mick auf dem kleinen Hang der zum Kanal runter ging und zerrte schließlich die Überreste von Sues Fahrrad aus dem Gestrüpp. Der Sattel und die Reifen waren aufgeschlitzt, die Felgen waren verbogen. Das ganze Ding war Schrott.
Für Sue war das jetzt zu viel. Sie fing an zu heulen und schrie nur noch, dass sie keine Lust mehr hatte und weg wollte. Ein kurzer Rundumblick zeigte, dass die Möglichkeiten begrenzt waren. Die Autos waren weg, es stand nur noch ein Roller und vereinzelte Fahrräder herum. Doch anders als wir, waren die Anderen so schlau gewesen, ihre Räder abzusperren. Also blieb nicht viel übrig, als sich zu Fuß auf den Heimweg zu machen.
Es war totenstill auf der Straße bis auf das immer wieder ausbrechende Gejammer von Sue. Die letzten Geräusche von der Party waren schnell von den umliegenden Bäumen verschluckt worden und außer uns war niemand unterwegs um diese Uhrzeit. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir auch nur die Brücke über den Bach erreicht hatten. Keiner von uns machte sich die Mühe die Uhrzeit auf dem Handy zu checken. Vermutlich hätte uns das nur noch mehr frustriert.
Wir machten auf der Brücke kurz Rast. Während Sue weiter vor sich hin jammerte, dass ihre Füße weh taten und ihre Eltern sie wegen dem Fahrrad umbringen würden und wie sie das alles erklären solle, ließ ich meinen Blick die Straße entlang wandern, bis dahin, wo sie zwischen den Maisfeldern nicht mehr zu sehen war. Mick lehnte neben mir an dem Brückengeländer.
„Wie wäre es mit einer Abkürzung,“ schlug er plötzlich vor. Ich sah ihn verwundert an, doch er starrte immer noch in die Ferne. „Wenn wir einfach quer durch die Felder gehen, sparen wir uns garantiert mindestens eine Viertelstunde, wenn nicht sogar mehr.“
Die Mädels hinter uns wurden still. Ich konnte nicht wirklich glauben, dass Mick den Vorschlag wirklich gemacht hatte. Natürlich hatte er recht. Wenn wir querfeldein liefen, wäre der Weg deutlich kürzer. Zu meiner Überraschung war es Moni, die sich als erstes äußerte.
„Vergiss es, auf keinen Fall. Wenn der Mesner dahinter kommt…“
„Wie soll er das denn?“ fiel Mick ihr höhnisch ins Wort. „Der Alte hat sich schon längst in den Schlaf gesoffen und er wird ja wohl kaum Fallen in seinen Feldern verstecken. Also gibt’s keinen Ärger, wenn wir einfach alle die Schnauze halten morgen früh.“
Moni schüttelte immer noch entschlossen den Kopf.
„Ich setz da keinen Fuß rein!“
Mick sah Sue und mich an. Sue schob ihre verschmierte Unterlippe trotzig vor.
„Mir ist alles recht, was mich schneller ins Bett bringt. Stell dich nicht so an Moni, wir gehen durch die Felder.“
Nach kurzem Überlegen nickte ich zur Zustimmung. Was sollte schon groß passieren. Wir trampelten etwas Wiese nieder, knickten vielleicht ein paar Maisstauden, aber der Mesner würde sicherlich nicht nachts durch seine Felder patrouillieren und er würde auch nicht die Kripo einschalten, um am nächsten Tag unsere Spuren auswerten zu lassen. Nur Moni weigerte sich weiterhin, egal was wir sagten. Sie begleitete uns bis an den Rand der Wiese.
„Willst du wirklich nicht mitgehen? Ich meine, so ganz allein auf der Straße nachts…“ Sie lächelte mich an und schüttelte entschlossen den Kopf.
„Allein auf der Straße fühl ich mich wesentlich sicherer, als da drin.“ Sie zeigte nach vorn auf das Maisfeld. „Mach dir keine Sorgen, Toni, ich schreib euch ne WhatsApp sobald ich zu Hause bin. Passt gut auf euch auf.“
Mit diesen Worten klopfte sie mir auf die Schulter, drehte sich um und ging zurück zur Straße. Ich sah ihr noch kurz nach, dann folgte ich Mick und Sue in die angrenzende Wiese.
Eigentlich hatte ich gehofft, dass Sues Gejammere jetzt ein Ende hätte. Doch sie hatte nun endgültig die Schuhe ausgezogen und lieg barfuß, was dazu führte, dass sie ständig rumheulte, weil irgendeine Wurzel oder irgendein Grashalm sie piekte. Erst als Mick anbot, sie huckepack zu nehmen, war Ruhe und ihre Laune besserte sich schlagartig. Sie kicherte herum, während Mick mit ihr durch das hohe Gras hüpfte und schnaubte wie ein buckelndes Pony. Ich schüttelte nur den Kopf und wollte gerade weiter Richtung Weizenfeld gehen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ich hielt inne und drehte mich ruckartig in die Richtung. Am Rand der Wiese stand etwas. Zu weit weg als, dass ich es wirklich erkennen konnte.
„Leute, da ist was.“ Mit einem Mal flüsterte ich, als ich mich wieder zu meinen Freunden drehte. Es war ein Wunder, dass Mick mich über ihr Rumgealbere hinweg überhaupt hörte. Mick hielt inne und sah sich um. Als ich mich ebenfalls wieder in die Richtung wandte, um ihm zu zeigen, wo ich es gesehen hatte, war der Schatten verschwunden. Mick zuckte mit den Schultern.
„Vermutlich nur ein Reh. Oder vielleicht will Moni uns einen Streich spielen, dafür, dass wir sie allein gelassen haben.“
Sue kicherte aus seinem Rücken und die beiden setzten ihren Weg fort. Keine Ahnung weshalb, aber mir war auf einmal der Spaß vergangen. Ich überlegte sogar kurz, umzudrehen und zu Moni an die Straße zu laufen, denn irgendwie überzeugte Mick mich nicht. Doch als ich nichts mehr erkennen konnte im Mondlicht, kam ich mir dennoch dämlich vor und folgte den beiden weiter in die Wiese hinein. Ich konnte es mir dennoch nicht verkneifen, mich alle paar Schritte umzusehen. Ein leichter Wind zog auf und das hohe Gras bewegte sich wie in Wellen. Die anderen Beiden hatten aufgehört herumzutollen und Mick ging nun langsamer. Die Straße war schon nicht mehr zu sehen. Kurz bevor wir das abgemähte Weizenfeld erreichen, drehte ich mich nochmal um und da war es wieder. Auf der anderen Seite der Wiese, am Rand zu dem kleinen Versorgungsweg baute sich ein massiver Schatten im Mondlicht auf. Es war immer noch weit weg, doch ich war mir sicher, dass es kein Reh war.
„Mick, da…“  Doch dann merkte ich, dass auch Mick in die Richtung starrte. Langsam setzte er Sue ab und kam die paar Schritte zu mir herüber.
„Wie ein Reh sieht das nicht aus, oder?“
Mick nickte langsam. Irgendetwas in mir hoffe, dass es einfach nur ein Auto war, das dort drüben Stand und in der Nacht einfach seltsam aussah. Nur wollte ich es mir selbst nicht so ganz glauben. Mick rempelte mich leicht an.
„Komm, gehen wir weiter. Wir haben noch ein Stück vor uns.“
Wir wandten uns ab und Sue begann wieder zu jammern, weil sie selber weitergehen musste. Ich hielt mich selbst davon ab, mich nochmals umzudrehen und steigerte das Tempo etwas. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich nach Hause. Vielleicht hatte Moni doch recht gehabt, auf der Straße zu bleiben. Vielleicht spielte mir aber auch nur mein schlechtes Gewissen, dass wir hier durch die Felder trampelten, einen Streich. Das ehemalige Weizenfeld war schon mehr Acker als sonst etwas. Schon beim ersten Schritt meckerte Sue wieder, dass ihr die Füße weh taten, doch Mick ignorierte sie. Zu meinem Entsetzen bemerkte ich, dass er wieder in die Ferne starrte. Ich wagte kaum den Kopf zu drehen. Doch als Mick sich gar nicht mehr weiter bewegte, sah auch ich zum Ende des Feldes hinüber und dort war er wieder. Der Schatten hatte sich mit uns mitbewegt. Er stand wieder auf gleicher Höhe am Rand des Ackers. Dieses Mal bemerkte auch Sue, dass dort etwas war.
„Was ist das?“ Sie drängelte sich zwischen Mick und mich. Ich zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, gibt es hier eigentlich Wildschweine?“
Der Umriss erinnerte mich am ehesten an einen Keiler, der massige Körper, der runde Rücken. Doch Mick schüttelte nur den Kopf.
„Ich glaube nicht. Zumindest hätte mein Onkel nie erwähnt, dass sie hier auch Wildschweine bejagen.“
Wir standen einfach nur da und starrten den Schatten an. Ich weiß nicht wie lange, doch wir wagten nicht mehr ihn aus den Augen zu lassen. Und dann bewegte er sich. Zuerst kaum merklich, als würde was immer dort auf der anderen Seite des Feldes war, ein paar ungelenke Schritte vorwärts machen. Dann wurde es immer schneller. Es dauerte etwas, bis wir es begriffen, doch was immer es war, es rannte nun direkt auf uns zu und es war schnell, verdammt schnell. Mick war der erste, der sich aus der Starre löste.
„Wir…wir sollten machen, dass wir hier wegkommen!“ Er gab mir einen leichten Stoß in die Rippen und das reichte auch, dass ich verstand, was da gerade passierte. Ich drehte mich in Richtung Maisfeld, packte Sue am Handgelenk und schrie: „Lauf!“
Mick hatte schon einige Meter Vorsprung. Ich ließ Sues Arm nicht los und zog sie mit mir über das Feld. Alleine wäre ich sicher schneller gewesen, doch irgendetwas sagte mir, dass sie es allein nicht geschafft hätte. Sue schluchzte hinter mir. Vermutlich nur zum Teil aus Angst, denn die Reste der Weizenstengel stachen sicherlich ihre nackten Füße blutig. Aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Es war nah und es war riesig. Es war immer noch wenig mehr als ein unförmiger schwarzer Fleck in der Dunkelheit. Ich wagte nicht den Kopf weiter zu drehen, um genauer hinzusehen. Zum einen wollte ich nicht riskieren auf dem unebenen Acker zu stolpern, zum anderen wollte ich es gar nicht wirklich sehen. Ich konnte es schon hören. Sein Atem war laut und kam stoßartig im Rhythmus seiner Galoppsprünge. Und der Wind trug seinen Geruch zu uns herüber. Zumindest glaubte ich, dass das was ich roch, das Ding war, das auf uns zu hielt. Es roch plötzlich nach grünem Holz, frisch gemähtem Gras und warmen Heu.
Mick erreichte die erste Reihe Maisstauden und verschwand mit einem lauten Krachen in der grünen Wand. Die ersten Stauden knickte er um, dann verschwand er stolpernd und fluchend im Feld. Als auch wir das nächste Feld erreichten, ließ ich Sues Handgelenk los. Der Mais stand dicht an dicht, wir hatten nur einzeln eine Chance uns unseren Weg hineinzubahnen. Ich konnte Mick vor uns durch das Feld krachen hören. Hinter mir schluchzte Sue vor sich hin, hielt jedoch mit mir Schritt. Wir rannten und rannten, bis mein Hirn wieder einschaltete. Ich hörte Mick vor mir und ich hörte Sue hinter mir und das war es. Was immer da über das Feld auf uns zu gerannt war, war uns nicht in den Mais gefolgt. Eine Kreatur von der Größe hätten wir gehört. Außerdem hätte sie uns bei der Geschwindigkeit mit der sie über den Acker gekommen war, längst eingeholt.
„Mick! Mick bleib stehen! Es verfolgt uns nicht mehr!“ Meine Stimme war rau und heißer. Ich merkte wie mir die zwei Bier zu Kopf stiegen nach der plötzlichen Anstrengung und wie die Maisstauden um mich herum zu taumeln begannen. Sue prallte gegen meinen Rücken. Es kostete mich alle Selbstbeherrschung nicht einfach umzukippen und mich zu übergeben. Sie krallte sich an meinem Arm fest und kreischte mir direkt ins Ohr.
„Was war was? Was zur Hölle war das? Oh Gott, was war das?“
Ich wusste es nicht. Die Welt um mich herum drehte sich und ihre Hysterie half mir auch nicht gerade. Etwas bewegte sich direkt vor uns. Die Blätter an den Stauden raschelten und Sue begann noch lauter zu Schreien.
„Halt doch deine dumme Schnauze!“ kam es aus dem Dunkeln. Mick tauchte zwischen den Stauden vor uns auf. „Kreisch doch noch ein wenig lauter, vielleicht entscheidet sich das Ding dann doch anders und kommt uns doch noch hinterher!“
Sue verstummte hinter mir. Nur noch das unterdrückte Schluchzen war zu hören. Es gab mir eine gewisse Genugtuung zu sehen, dass Mick genau so schwer atmete wie ich. Wir standen einfach nur da und lauschten in die Nacht. Doch außer meinem eigenen Herzschlag, der mir in den Ohren dröhnte nach dem Spurt und unserem Atem gab es kein Geräusch. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis jemand wieder wagte, etwas zu sagen. Es war Sue, doch diesmal hatte sie sich unter Kontrolle und ihre Stimme war ein stockendes, halbersticktes Flüstern.
„W-w-wieso ist, ist es draußen geblieben? Meint… meint ihr, es wartet auf uns?“
Ich wollte schon mit den Schultern zucken, weil ich keine Antwort wusste, doch dann kam mir ein Gedanke, bei dem sich mein Magen zusammenkrampfte.
„Moni ist draußen auf der Straße“, stammelte ich. Die anderen beiden sahen mich an und begriffen sofort. Mick wurde so blass, dass sich sein Gesicht wie eine Maske vor dem dunklen Hintergrund abhob und Sue schlug beide Hände vor den Mund, um einen erneuten Schrei zu ersticken. Die Maisstauden waren kein unüberwindbares Hindernis für was immer es gewesen sein mochte. Doch das Mädchen, das einsam und allein draußen auf der offenen Straße entlang ging, war das deutlich einfachere Ziel.
„Das ist doch Scheiße!“ Mick wurde plötzlich hektisch und begann seine Hosentaschen abzutasten. „Ich ruf jetzt die Cops oder sonst irgendwen an. Mein Onkel soll kommen und das Vieh abballern. Mir egal wessen Jagdrevier das hier ist.“
Mit einem Mal erschien Rettung in Sicht. Mick hatte recht. Ich zog ebenfalls mein Handy aus der Tasche. Scheiß auf den Anpfiff unserer Eltern und vom alten Mesner, wir würden uns Verstärkung holen. Während ich noch mit zitternden Fingern mein Display entsperrte, zeichnete sich die Beleuchtung von Micks Handy schon auf seinem Gesicht ab und er durchsuchte seine Kontaktliste. Die Displaybeleuchtung fesselte unsere Blicke, wie eine Lampe die Motten anzog. Keiner bemerkte, dass sich die Maisstauden hinter Mick zur Seite bogen und mit einem Mal war es da. Mit einem Geräusch, das halb Knurren und halb Fauchen war, sprang es Mick in den Rücken und schleuderte ihn zu Boden. Sue begann wieder zu kreischen und rannte blindlings los. Dabei verpasste sie mir einen derartigen Stoß, dass ich auf die Knie fiel. Die Blätter der Maisstauden zerschnitten mir die Wangen und mein Handy verschwand irgendwo im Dunkeln auf dem Boden.
Mick schrie. Ein Geräusch, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben gehört hatte. Er lag auf dem Bauch, schlug mit den Fäusten auf die Erde und die Kreatur stand über ihm und hielt mit seinen riesigen, krallenstarrenden Pranken seine Oberschenkel fest. Die Klauen bohrten sich durch Micks Hose und sein Fleisch. Das Blut quoll schwarz durch den Stoff. Die Kreatur war riesig. Ich hatte noch nie auch nur etwas annähernd Vergleichbares gesehen. Dicke stämmige Beine mit kurzen schwarzen Borsten bedeckt und einen Buckel, der mich an eine Hyäne denken ließ. Ein breiter Hals, mit einer tiefhängenden Wamme. Doch das Schlimmste war der Kopf. Es hatte keine Augen, keine Ohren und in der Dunkelheit sah es auch so aus, als hätte es kein Fleisch am Kopf. Nur ein Schädel über dem sich vertrocknete Haut spannte. Zu meiner Verwirrung hatte das ding auch keine Zähne im Maul. Nur die zertrümmerten Kiefer schienen direkt aus der toten Haut herauszuragen. Es gab nochmals diesen eigenartigen knurrenden Laut von sich, hob die geöffnete Schnauze Richtung Himmel und dann biss es zu. Sein Oberkiefer umschloss Micks linke Seite und der Unterkiefer bohrte sich hinter der Wirbelsäule in seinen Rücken. Mit Leichtigkeit zerteilte es Micks Körper, während dieser weiter schrie und schrie und schrie. Ich konnte hören, wie sein Fleisch riss, wie seine Rippen und das Rückgrat brachen unter dem Druck der gewaltigen Kiefer. Mick hob ein letztes Mal den Kopf und starrte mich direkt an. Ich saß noch immer weniger Meter von dem Monster, das gerade meinen besten Freund zerfleischte au dem Boden und hielt die Luft an. Erst als ich Micks weit aufgerissene Augen sah und den Mund, der nur noch zu einem stummen Schrei aufklaffte, wurde mir klar, was da gerade passierte. Ich musste weg. Ich musste weg, so lange es noch mit Mick beschäftigt war. Ich kroch die ersten Paar Meter rückwärts auf allen Vieren durch den Mais, dann rappelte ich mich auf und rannte los. Ich musste raus aus diesem verfluchten Feld, hoch zur Bundesstraße. Neben dem Feld lag ein kleiner Versorgungsweg, dann noch eine kleine Wiese, keine zwanzig Meter breit. Über den Graben, die Böschung hoch und über die Leitplanke hoch auf die Bundesstraße. Auf der anderen Seite begann sofort die Siedlung. Irgendjemand musste mir die Tür auf machen, irgendjemand musste mich reinlassen und mir helfen und hinter mir konnte ich in immer größer werdender Ferne noch immer hören, die Micks Knochen brachen, wie Stoff zerrissen wurde.
Mit einem Mal fielen mir Sue und Moni wieder ein. Sue rannte kopflos in eine vollkommen falsche Richtung durch das Feld und Moni stand draußen noch immer als leichte Beute auf der Straße. Ich wurde etwas langsamer, während ich mich Reihe um Reihe durch die Maisstauden schob. Konnte ich wirklich so ein Schwein sein und sie einfach ihrem Schicksal überlassen? Ich hatte doch ohnehin keine Chance gegen dieses Vieh. Selbst wenn ich bei ihnen war, könnte ich ihnen nicht helfen, sondern nur zu sehen, wie dieser grauenvolle skelettartige Schädel ohne Zähne auch sie zerriss und beten, dass ich nicht der nächste war. Ich würde Hilfe holen. Sobald ich in Sicherheit war, würde ich die Polizei rufen.
Ich stockte. Irgendetwas war plötzlich anders. Und dann begriff ich. Es war wieder still. Eine unglaubliche Panik hob in mir an. Wenn es mit Mick fertig war, bedeutete das, es war wieder hinter uns her. Ich rannte nicht mehr kopflos durch die Nacht, auch wenn ich es am Liebsten getan hätte. Ich bewegte mich schnell, aber versuchte so wenige Geräusche dabei zu verursachen, wie möglich. Rechts von mir brachen mehrere Maisstauden. Ich wollte schon losrennen, bevor ich bemerkte, dass das Geräusch nicht in meiner unmittelbaren Nähe war. Dann folgte das Schreien.
Sue schrie irgendwo in den Tiefen des Feldes und es war nicht ihr übliches hysterisches Gekreische, wenn sie sich erschreckte. Sie schrie aus tiefster Todesangst und vor Schmerzen.
Ich begann wieder zu rennen. Aus unzähligen kleinen Schnittwunden rann das Blut meine Arme hinab, als wäre der Mais mit kleinen Rasierklingen bestückt. Ein seltsames feuchtes Knirschen war im ganzen Feld zu hören und aus dem Schrei wurde ein ersticktes Röcheln und dann war es wieder still.
Ich versuchte durch das Feld zu schleichen, als Sue verstummt war. Mein Atem kam nur noch kurz und stoßweise über meine Lippen. Ich hechelte wie ein Hund und versuchte verzweifelt zu hören, wo die Kreatur sich gerade befand. Doch nichts. Die Nacht war mit einem Mal totenstill geworden.
Dann drang ein Rauschen an mein Ohr. Es kam direkt von vorne. Zuerst wollte ich umdrehen, zurück tiefer in den Mais rennen, doch dann begriff ich. Es war ein LKW, der oben auf der Bundesstraße vorbeifuhr. Ich war so dicht dran, das Feld musste bald zu Ende sein. Ich tastete mich langsam vor, Schritt für Schritt. Mein Kopf zuckte hektisch von einer Seite zur anderen, immer auf der Suche nach etwas, das die Anwesenheit der Kreatur ankündigte. Doch da war nichts.
Nur wenige Reihen vor mit konnte ich den Kiesweg durch die Maisstauden schimmern sehen. Im Mondlicht wirkte er beinahe weiß. Ich zögerte.
Dort draußen würde sie mit Sicherheit auf mich lauern. Sobald ich auch nur einen Finger aus dem Mais hinausstreckte, würde sie da sein und mich packen. Ich kauerte mich hinab auf alle Viere und kroch näher an das Ende des Feldes heran. Ich konnte alles sehen. Den Weg, die Wiese, den Graben… was, wenn es im Graben hockte und auf mich wartete, was wenn… Aus dem Augenwinkel erspähe ich etwas, das links von mir auf dem Weg kauerte. Ich wollte schon umdrehen und wegrennen, als mir bewusst wurde, dass es nicht die Kreatur war. Es war zu klein, zu flach. Als ich erkannte, was es war, wurde mir wieder schlecht. Es war Sue.
Oder besser gesagt, was von ihr übrig war. Sie lag auf dem Rücken. Ein Teil ihres linken Beins fehlte und auch der Unterkiefer war aus ihrem Schädel gerissen worden. Ihre Augen starrten regungslos in den Nachthimmel. Ich presste beide Hände fest auf meinen Mund. Sie lag einfach da und… und… in meinem Hirn begann es zu rattern. Sie lag links von mir auf dem Weg. Links. Sie war vorher nach rechts gerannt, ich hatte sie rechts im Feld schreien hören. Es war unmöglich, dass sie sich so weit über den Feldweg geschleppt hatte, noch dazu ohne Spuren zu hinterlassen. Es war kein Blut auf dem Weg.
Es war hier. Es hatte auf mich gewartet und jeden Moment würde es…
Ich wartete nicht mehr. Ich drückte mich vom Boden ab wie ein Sprinter beim 100m Lauf und rannte los mit allem was mein zerschundener Körper noch geben konnte. Ich brach durch die letzten beiden Reihen Maisstauden, schoss hinaus auf den Weg und hinüber auf die Wiese. Noch bevor ich beide Füße im Gras hatte, hörte ich es. Der Mais krachte und etwas Schweres, Schnelles sprang auf den Kiesweg. Ich drehte mich nicht um. Ich wollte nicht sehen, wie nah es schon war, wie schnell es aufholte. Ich begann zu schreien und zu weinen und rannte, rannte mit allem was ich hatte. Ich würde es nicht schaffen.
Vor mir klaffte der Graben auf und etwas berührte meinen Arm. Wie scharfe Messer schnitt es durch meinen Unterarm, durch meine Hand. Ich kam ins Taumeln. Mit letzter Kraft warf ich mich in einem Hechtsprung Richtung Graben. Ich schlug der Länge nach auf der Böschung auf. Etwas durchbohrte meine rechte Wange. Ich schmeckte Blut und Dreck.
Es hatte mich. Es hatte mich erwischt. Ich blieb liegen, drückte mein Gesicht in den Dreck, kniff die Augen zu und wartete darauf, dass die Kiefer meine Rippen zertrümmerten, wie sie es bei Mick gemacht hatten.
Doch nichts passierte. Zitternd und während mir der Rotz aus der Nase lief, wagte ich es langsam den Kopf zu heben. Ich lag immer noch auf der anderen Seite des Grabens. Wenige Meter über mir glänzte die Leitplanke im Mondlicht. Ich rollte mich auf den Rücken und da war es wieder. Nur etwas zwei Meter vor mir, auf der anderen Seite des Grabens stand es. Aufgebracht trat es von einem Vorderbein aufs andere, sperrte immer wieder drohend sein bluttriefendes Maul auf und fauchte. Doch es setzte keine Pranke in den Graben.
Ich begann langsam mich rücklings die Böschung hochzuschieben. Ich wagte nicht, den Blick von ihm abzuwenden, aus Angst es könnte es sich doch noch anders überlegen und mir folgen. Nach einigen Sekunden schüttelte das Biest seinen gewaltigen Schädel und die Wamme an seinem Hals schlackerte hin und her und es wandte sich von mir ab und trottete über die Wiese davon. Das war der Augenblick in dem ich mich umdrehte und so schnell ich konnte die Böschung hochkroch. Erst als ich bereits ein Bein über die Leitplanke hatte, warf ich noch einen Blick zurück.
Die Kreatur stand unten auf dem Feldweg neben dem, was noch von Sue übrig war und hatte den Kopf in meine Richtung gedreht. Als hätte es darauf gewartet, dass ich mich nochmal zu ihm umsah. Mit einem dumpfen Knurren schnappte es noch einmal zu, packte Sues Kopf und zerrte ihren Körper mit sich ins Maisfeld.
Das Geräusch, als Sues Schädel von seinen Kiefern zermalmt wurde, gab mir den Rest. Die Welt um mich herum wurde grau und ich verlor das Bewusstsein.

Als ich die Augen wieder öffnete war es hell, zu hell. Ich lag in einem fremden Bett, in einem fremden Zimmer. In meinem Kopf drehte sich alles. Mein ganzer Körper tat weh und ich begriff zuerst nicht, was vor sich ging. Das erste was ich erkannte, war meine Mutter, die neben dem Bett auf einem Stuhl saß. Als sie bemerkte, dass meine Augen offen waren, sprang sie auf, drückte sich dicht neben das Bett und legte mir eine Hand auf die Schulter.
„Du bist wach, Gott sei dank du bist wieder wach. Alles ist gut, Schatz, du bist im Krankenhaus.“
Meine Gedanken begannen zu schwimmen. Die Welt um mich herum begann zu flackern und immer wieder grau zu werden. Es war schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Sue und Mick waren weg und ich lag hier und… und…
„Moni?“ war alles, was ich mit krächzender Stimme hervorbrachte. Meine Mutter schien kurz verwirrt. Doch dann drückte sie meine Schulter etwas fester.
„Sie ist an dem Abend ganz normal nach Hause gekommen, ihr geht es gut. Aber was ist mit euch passiert, wo sind…“
Den Rest des Satzes verstand ich bereits nicht mehr. Es hatte mich schon alle Kraft gekostet, den Anfang noch mitzubekommen. Ich dämmerte wieder weg.

So ging es die folgenden Tage. Wann immer ich zu wach wurde, bekam ich Panikattacken und begann zu schreien, deshalb bekam ich etwas zur Beruhigung. Ich wachte auf und jemand stand an meinem Bett. Mal meine Mutter, mal mein Vater oder mein älterer Bruder. Wir wechselten ein paar Worte und ich sackte wieder zurück in meinen Halbschlaf. Am dritten oder vierten Tag, ich weiß es nicht genau, ich hatte kein Zeitgefühl mehr, stand dort jedoch jemand, den ich nie im Leben erwartet hätte. Der alte Mesner stand am Fußende meines Bettes und starrte auf mich hinab. Mit einem Mal war ich hell wach, so wach wie seit dieser Nacht nicht mehr und ich hatte Angst. Er wusste es, da war ich mir sicher. Er würde mich anschreien, er würde mich vielleicht sogar schlagen. Wieso hatte man ihn überhaupt zu mir gelassen? Doch er tat nichts, er stand einfach nur da und sah mich an. Als er schließlich sprach, war seine Stimme leise und ruhig.
„Du und deine Freunde, die beiden, die keiner gefunden hat, ihr seid in der Nacht über meine Felder gelaufen, oder?“
Ich zitterte am ganzen Körper, doch ich brachte ein halbes Nicken zustande. Noch immer schrie er mich nicht an. Stattdessen kniff er die Augenlider fest zu und seine dicken wulstigen Lippen begannen zu zittern.
„Gott, habe ich euch nicht genug Angst gemacht? Was muss ich noch tun, damit sich alle von den Feldern fernhalten?“ Es klang beinahe wie ein Schluchzen. Mein umnebeltes Gehirn verstand nur die Hälfte von dem was er sagte, doch eines wurde mir klar.
„Sie…Sie wissen von dem Ding? Haben Sie es dort, damit niemand Ihre Felder zertrampelt?“
Sein Blick schnellte wieder zurück zu mir und ich zuckte zusammen. Aber er war noch immer nicht wütend. Die glasigen Augen in dem zerfurchten Gesicht wirkten traurig und erschrocken.
„Nein, nein, nein, Junge. Nein. Es war schon immer da, seit ich denken kann und auch davor. Schon mein Großvater hat erzählt, dass man ihn als Kind davor gewarnt hat und auch ich muss mich vor ihm in Acht nehmen, wie meine ganze Familie.“
Er schluckte schwer bevor er fortfuhr.
„Wenn ich zu früh mähe, kommt es nachts und zerstört die Maschinen und greift das Haus an. Wenn ich falsch pflanze, verwüstet es die Saat. Als ich neun war, beschloss mein Onkel, dass er sich nicht mehr von einem Dämon, so nannte er es, vorschreiben lässt, wie er seine Felder bewirtschaftet. Er nahm sein Jagdgewehr und fuhr mit dem Traktor und dem Mähwerk hinaus aufs Feld, als die Dämmerung begann. Das Einzige was man am nächsten Morgen fand, war das kaputte Gewehr am Feldrain. Weder von meinem Onkel noch von der Maschine sah man je wieder etwas.“
Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen, knetet mit seinen schwitzigen Händen die Front seines dreckigen Hemdes und drehte sich immer wieder zur Tür um, als hätte er Angst, jemand könnte plötzlich reinkommen. Seine letzten Worte flüsterte er beinahe: „Die Polizei wird bald zu dir kommen. Sie suchen noch immer nach deinen Freunden. Ich flehe dich an. Deine Freunde kannst du nicht mehr retten, die sind für immer weg. Aber wenn du die anderen retten willst, all die anderen, die nach ihnen suchen werden… egal was du ihnen erzählst. Bitte, ich bitte dich, sorge dafür, dass sie sich von den Feldern fernhalten."